Mittwoch, 21.04.2021

Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Tobias Hermann bei der jährlichen Hamburger Anwaltsfortbildung im Medienrecht

von Media Kanzlei

Rechtsanwalt Dr. Tobias Hermann hat bei der jährlichen Hamburger Anwaltsfortbildung im Medienrecht den Vortrag „Neues vom VI. Zivilsenat des BGH: Zulässigkeit eines Fahndungsaufrufs der Presse in Sachen „G 20 Verbrecher“ und Unzulässigkeit von Fotos vom Scheidungstermin“ gehalten:

Neues vom VI. ZS des BGH

Zwei Entscheidungen des BGH liegen dem Referat zugrunde, wobei die erste Entscheidung (aus unserer Kanzlei) im Mittelpunkt stehen soll:

I. BGH v. 29.9.2020 –VI ZR 449/19 (ZUM 2021, 50) – „Das sind die G-20-Verbrecher“ → VB 1 beim BVerfG anhängig (Unterlassung)

II. BGH v. 7.7.2021 –VI ZR 246/19 und 250/19 –Anke E.-Fotos beim Scheidungstermin (im Anschluss an FotosvonC.W.beimEinkaufen: „Nach der Versöhnung –C.W. -Wer Bettina liebt, der schiebt“, Rückblick auf Referat aus 2019)

I. G-20-Verbrecher

I. G-20-Verbrecher: Sachverhalt, Klägerin steht unter Betreuung

I. G-20-Verbrecher: Sachverhalt

Ähnlicher Artikel vom 09.07.2017 online:

„Gesucht! Wer kennt diese G20 Verbrecher? Sachdienliche Hinweise bitte an die nächste Polizeidienststelle (…)

Was geht in diesen Schwerkriminellen vor? (…) Sie nehmen den Tod von Menschen in Kauf “ unter

https://www.bild.de/news/inland/g20-gipfel/wer-kennt-diese-verbrecher-52493328.bild.html#remId=1674639796036811927

Unstreitig: es gab weder Zusammenarbeit mit der Hamburger Polizei noch eine Öffentlichkeitsfahndung gem. §131b StPO. Vielmehr eigenes Portal der Polizei mit der Bitte um Hinweise zur internen (!) Auswertung unter www.hh-hinweisportal.de.

I. G-20-Verbrecher: §131 Abs. 3, 131b StPO

 

§131 Abs. 3 StPO

(3) 1Bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung können in den Fällen der Absätze 1 und 2 der Richter und die Staatsanwaltschaft auch Öffentlichkeitsfahndungen veranlassen, wenn andere Formen der Aufenthaltsermittlung erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wären.

§131b StPO

Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten oder Zeugen

(1) Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.

Vorliegend: Tatvorwurf des Diebstahls geringwertiger Sachen, §248a StGB, nach Ansicht der Beklagten ist Klägerin durch Fotos überführt und damit „schuldig“.

I. G-20-Verbecher – Instanzgerichte

Sowohl LG + OLG FFM als auch LG + OLG K haben diese Berichterstattung für rechtswidrig gehalten und beide LGe der Klägerin sogar eine GeldE zugesprochen (5.000,- bzw. 10.000, 10.000,--). Selbst der Dt. Presserat hat die Art der Darstellung (Bildnisse + Fahndungsaufruf) für unzulässig gehalten (arg.: öffentl. Medienpranger).

Kernargument LG FFM für Unterlassung (NJW-RR 2018, 428 mAnm Riemenschneider/T. Hermann AfP 2018, 75): Unabhängig von der Frage der generellen Zulässigkeit eines solchen Fahndungsaufrufs der Presse ist jedenfalls kein Foto mit einer solchen Breitenwirkung wegen Kleinstkriminalität zulässig.

I. G-20-Verbecher –Missbilligung Dt. Presserat

Es gehört nicht zur Aufgabe der Presse, selbständig nach Bürgern zu fahnden, ohne dass ein offizielles Fahndungsersuchen seitens der Staatsanwaltschaft vorliegt. Die Berichterstattung ist daher nicht mit dem Ansehen der Presse gemäß der Präambel des Kodex vereinbar. Folgen einer selbst inszenierten „Verbrecherjagd“ sind nach Auffassung des Presserats nicht mehr zu kontrollieren und können auch Selbstjustiz Vorschub leisten. Präambel: „[…] Verleger, Herausgeber und Journalisten müssen sich bei ihrer Arbeit der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und ihrer Verpfichtung für das Ansehen der Presse bewusst sein. Sie nehmen ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinfusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr. […]“

G-20-Verbrecher

Treffender Kommentar dazu im Tagesspiegel:

„Die "Bild"-Zeitung fahndet nach ‚G20-Verbrechern ́, ganz ohne Polizei. Es erinnert eher an Wildwest als an einen Rechtsstaat. Lynch-Mob statt Richter mit Staatsexamen? Gruselig.“

Alle sind sich einig, dann ist doch alles klar, oder?

Leider nein, denn es gibt eine unerwartete Wendung, mit der wohl niemand gerechnet hat…

II. G-20-Verbrecher BGH sieht es ganz anders…

„Schlauer“ als alle Instanzgerichte:

der VI. ZS, der die Bildnisse gem. §23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für rechtmäßig hält und eine Prangerwirkung ablehnt (!) Im Vordergrund stehe nicht die Personalisierung, sondern „das Anliegen, die Bandbreite des Verhaltens verschiedener Personen während der Ausschreitungen und die Schwierigkeiten ihrer Identifizierung zu veranschaulichen“.

Der BGH spricht von einem „redaktionellen Gestaltungs- und Stilmittel“, d.h. die konkreten Vorwürfe gegen die Abgebildeten würden sich ausschließlich aus dem jeweiligen Untertext unter jedem Bild der überführten Täter ergeben (siehe Untertext Folie 4).

II. G-20-Verbrecher Lösung des BGH

Mit anderen Worten:

Bei einem Fahndungsaufruf geht es gar nicht um die Person des Abgebildeten…?

Bei der Auslegung des Untertextes soll der Gesamtzusammenhang (Titelseite: „Verbrecher“, „Tötungsvorsatz“) ausgeblendet werden?

Und was ist mit der Unschuldsvermutung und den Grenzen des §131 Abs. 3, 131b StPO für eine Öffentlichkeitsfahndung (Folie 6), die bei dem Vorwurf des §248a StGB unzulässig wäre?

Die Lösung des BGH lässt sich einmal mehr (siehe C. Wulff beim Einkaufen und Vortrag 2019, dazu sogleich) auf folgende Kurzformel bringen:

Wer sich im öffentlichen Raum (= Sozialsphäre) exponiert, muss mit Beobachtung rechnen.

Aber musste (unter Betreuung stehende) Klägerin im Vorfeld eines jeden Ermittlungsverfahrens auch mit einem solchen „Fahndungsaufruf“ rechnen? Presse ist zwar „4. Gewalt“, jedoch kein verlängerter Arm der Strafverfolgung oder Ersatzrichter mit mehr Befugnissen als §131 ff. StPO vorsehen.

II. Exkurs: Artikel 2 im Januar 2018

Fortsetzung der Berichterstattung im Januar 2018 durch drei „Fotos des Tages“ der Klägerin auf der Titelseite mit der Überschrift „Gericht verbietet Bilder von G20 Plünderin“. Axel S. versucht hier den bildlichen „Beweis“ der Täterschaft der Kl. zu führen.

Klägerin wird damit als Schaulustige nunmehr sogar zum „Gesicht“ der G 20 Krawalle gemacht. Hier hatte das LG K noch eine GeldE von 20.000,- für angemessen gehalten (Urt. v. 3.7.19, 28 O 191/18 aufgehoben durch OLG K v. 26.3.20, 15 U 193/19), der BGH aber keine PKH für Revision gegen das aufhebende Berufungsurteil des OLG K gewährt.

II. Empirische Daten zur Schieflage beim BGH

Interessant ist folgende empirische Auswertung zur Quantifizierung der Rspr. in den Jahren 2005 –2020 (also unmittelbar nach Caroline-Urteil des EGMR) bei Specht-Riemenschneider / Lorbach, Das Künast-Urteil als Ende eines langen Irrwegs?, in: dud2021, Heft 6, im Erscheinen:

- BGH hat in diesem Zeitraum 77 Mal zugunsten von Meinungs- und Pressefreiheit entschieden und nur 34 Mal zugunsten des APR (ohne Teilentscheidungen)

- Eindeutige Tendenz überrascht, weil beide Grundrechte gleichrangig. Geht BGH etwa von Abwägungsvorsprung des Art. 5 GG aus?

II. G-20-Verbrecher: Wer kann jetzt noch helfen?

BVerfG 1 BvR 2683/20 (VB 1): Nur der Schlossplatz, denn der BGH verstößt hier in eklatanter Art und Weise gegen Grundrechte:

- Gegen das APR der Klägerin - dagegen VB 1.

- und - bezüglich der Zurückweisung der PKH gegen die Rechtsschutzgleichheit, Art. 3 Abs. 1, 20GG. Danach keine Zurückweisung von PKH bei schwierigen Rechtsfragen.

Dagegen: VB 2 (noch kein Az. bzgl. Zurückweisung der PKH für Revision gegen das Urteil des OLG K).

II. Empirische Daten zur Schieflage beim BVerfG

Aber auch hier deutliche Schieflage während 2005 –2020:

- 64 Mal zugunsten Art. 5 GG, nur 23 Mal zugunsten des APR

- Nur beim Ehrschutz: 53 Mal zugunsten Art. 5 GG, nur 17 Mal zugunsten des APR

- Ehrschutz beim BGH: 58 Mal zugunsten Art. 5, nur 22 Mal zugunsten APR

- Quelle: Specht-Riemenschneider/Lorbach, aaO.

II. BGH II v. 7.7.20: Anke E. (und Christian W., Vortrag 2019)?

Rückblick auf Vortrag 2019: Verbot von Paparazzi Bildern von Christian W. beim Einkaufen („Wer Bettina liebt, der schiebt “).

Nunmehr geht es um Bilder von Anke E. aus dem Gerichtsflur und vor dem Gerichtsgebäude zusammen mit ihrem Mann unmittelbar vor dem Scheidungstermin(„Anke E. lässt sich scheiden. Nach 12 Jahren Ehe! Hier treffen sich Anke E. und ihr Mann vor dem Scheidungsrichter“).

Wie entscheidet der VI. ZS des BGH hier?

 

BGH stellt auf die berechtigte Erwartung des Abgebildeten ab, nicht in den Medien abgebildet zu werden.

(+) bei privater Prägung der Aufnahmesituation, hier die konfrontative Situation mit dem früheren Partner in einer familiären Ausnahmesituation.

Selbstöffnung durch 2 Jahre zurückliegende Pressemitteilung zur damaligen Trennung des Paares? So: Gounalakis NJW 2020, 3692 (3694), der von „gesellschaftlicher Sozialisationsfunktion“ der Bilder und dem „Öffnen der Büchse der Pandora“ spricht -und sich dabei über Art. 8 EMRK hinwegsetzt.

Frage zur Selbstöffnung: Wie durfte ein verständiger Empfänger die PM verstehen? Sicher nicht dahingehend, dass Medien 2 Jahre später Fotos vom Scheidungstermin machen dürfen. Pressemitteilung diente dazu Spekulationen über Beziehungsstatus zu beenden und im Übrigen Schutz der Persönlichkeitsrechte einzufordern.

Pressemitteilung spricht daher gegen die Zulässigkeit der Veröffentlichung (wie auch bei Christian W.).

Fazit: Endlich ein Urteil pro APR!!! Einkaufen und Scheidung sind private Themen, auch wenn sie sich in der Öffentlichkeit abspielen. Kurskorrektur des Urteils zu C.W. beim Einkaufen hätte BGH schon aus Gründen der Rechtssicherheit besser auch als solche kennzeichnen sollen.

II. Ausblick

EGMR NJW 04, 2647 (2650) stellt maßgeblich auf Art und Weise der Informationsgewinnung ab. Sofern heimlich und mit Überrumpelung, sollte Rechtswidrigkeit grundsätzlich indiziert sein (entsprechend der Lehre vom Erfolgsunrecht)

→ Aspekt der medialen Dauerverfolgung und -belästigung muss noch viel stärker in die Abwägung eingestellt werden.

Art. 8, 46 I EMRK zwingen gerade zum Schutz der Normalität des Alltagslebens! Leitbild und Kontrastfunktion des Abgebildeten führt nicht zur Zulässigkeit.

Zum Ganzen siehe auch: Gulden/Dausend, Gefahr für das Persönlichkeitsrecht durch mediale Hetzjagd?, MMR 2017, 723 ff. mit Verweis auf „hetzerische Darstellung“ (725).

 

Wenn Sie noch Fragen zu diesem Vortrag haben oder anwaltliche Beratung im Medien- und Presserecht suchen, kontaktieren Sie Dr. Hermann und sein Team. Wir helfen Ihnen gerne! 

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