Mittwoch, 11.05.2022

Oberlandesgericht Stuttgart schützt Meinungsfreiheit des DIG

von Media Kanzlei

Berufung gegen Eilantrag wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung

Das OLG Stuttgart hat die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 27.05.2021 – Az.: 4 O 162/21 zurückgewiesen. Somit bestätigt das OLG Stuttgart das Urteil vom 04.05.2022 – Az.: 4 U 181/21 des Landgerichts Ulm. Schon in der ersten Instanz konnten unsere Rechtsanwälte der Media Kanzlei Frankfurt den Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. (DIG) erfolgreich vertreten. 

Sehen Sie hierzu unseren Blockbeitrag Landgericht Ulm weist Eilantrag zurück.

Die Parteien, der DIG als Mandant der Media Kanzlei und die Gegner - eine Aktivistin, ein Journalist und ein Verein- streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über Ansprüche auf Unterlassung wegen Äußerungen in einem von der Verfügungsbeklagten mit unterzeichneten Mail und einem verlinkten Blogbeitrag. 

Wie wird eine Persönlichkeitsverletzung festgestellt?

Im Wesentlichen ging es darum festzustellen, wann es sich bei Aussagen um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. Die Meinungsfreiheit, Art 5 Abs.1 GG schützt grundsätzlich Meinungsäußerungen und Tatsachen. Hierunter fallen auch kritische Meinungsäußerungen, sofern diese keine Persönlichkeitsrechte verletzen. Dabei nimmt das Gericht eine umfangreiche Interessenabwägung vor. Hierbei werden zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits abgewogen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der beanstandeten Äußerungen und deren Unterlassung als Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist zunächst, wie der Sinngehalt der beanstandeten Äußerungen bei der gebotenen objektiven Betrachtung zu verstehen ist und in der Folge deren Einordnung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung. Führt eine Tatsachenbehauptung zu einer Rechtsverletzung, hängt die rechtliche Bewertung vom Wahrheitsgehalt der Äußerung ab. Wahre Tatsachen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre Tatsachenäußerungen genießen den Grundrechtsschutz dagegen nicht (BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 - 1 BvR 2678/10). 

Persönlichkeitsverletzung durch unzulässigen Antisemitismusvorwurf?

Die Verfügungskläger fühlen sich von den Äußerungen bzw. dem in Bezug genommenen Beitrag als Antisemiten bzw. als Unterstützer und Verbreiter antisemitischer Positionen diffamiert und sehen sich hierdurch in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Parteien streiten sich darüber, ob die Verfügungskläger durch die Ausführungen in dem Mail als Antisemiten beziehungsweise Unterstützer entsprechender Positionen diffamiert werden oder es sich um hinzunehmende Meinungsäußerungen im Rahmen eines Diskussionsangebots handelt.

So bewertet das OLG Stuttgart dies:

"Die Gesamtabwägung der berührten Rechtspositionen führt im vorliegenden Fall letztlich dazu, dass zumindest nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Interesse der Verfügungskläger am Schutz ihrer jeweiligen Persönlichkeit das von der Verfügungsbeklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit überwiegt."

Zur Freiheit der Meinungsäußerung sagt das Gericht weiter: "Es ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern wird nach Art. 2 Abs. 1 GG durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechtengehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, die wiederum ebenfalls nicht vorbehaltlos garantiert ist, sondern ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre findet (vgl. BVerfGE 114, 339; BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 - 1 BvR 2678/10). Damit ist ein „Konflikt“ zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der einen Person mit dem Recht auf Meinungsfreiheit einer anderen Person angelegt, für den ein angemessener Ausgleich gefunden werden muss."

Das Gericht konnte feststellen, dass es sich bei den von der Verfügungsklägern beanstandeten Äußerungen durchgehend um als Meinungsäußerungen zu qualifizierende Äußerungen handelt, die einen weiten Schutz genießen, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme

"Somit hat die zulässige Berufung der Verfügungskläger gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 27.05.2022 in der Sache weder mit dem Hauptantrag noch mit den Hilfsanträgen Erfolg, weil sich im Ergebnis ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungskläger nicht feststellen lässt."

Kanzlei für Meinungsfreiheit: Media Kanzlei

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Aktenzeichen:

4 U 181/21

4 O 162/21 LG Ulm                    Urteil

 

Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V., Arbeitsgemeinschaft Ulm/ Neu-Ulm, vertreten durch d. Vorsitzenden, Littenstraße 105, 10179 Berlin

- Beklagter und Berufungsbeklagter -

 

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Media Kanzlei Frankfurt, Kaiserstraße 44, 60329 Frankfurt, Gz.: 3333.21 wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts

 

hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlan- desgericht  Geßler, den Richter am Oberlandesgericht  Klierund den Richter am LandgerichtDr.WunderleaufgrunddermündlichenVerhandlungvom23.03.2022am04.05.2022fürRechterkannt:

1.

Die Berufung der Verfügungskläger gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 27.05.2021 - Az.: 4 O 162/21 - wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Verfügungskläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

 

Streitwert des Berufungsverfahrens: 20.000,00 €

…..

Die Beklagte beantragt:

 

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und meint, die Beschreibung der Kläger als der BDS Bewegung nahestehend sei als Werturteil hinzunehmen, insbesondere vor dem Hintergrund der Diffusität der Bewegung und der von den Klägern vertretenen Positionen. Die Hilfsanträge seien verspätet gestellt und damit unzulässig.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den da- zu vorgelegten Anlagen Bezug genommen. Hinsichtlich des Vortrags in der mündlichen Verhandlung wird außerdem auf das Protokoll der Sitzung vom 23.03.2022 verwiesen.

 

 

II.

 

Die zulässige Berufung der Verfügungskläger gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 27.05.2022 hat in der Sache weder mit dem Hauptantrag noch mit den Hilfsanträgen Erfolg, weil sich im Ergebnis ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungskläger nicht feststellen lässt.

1.

 

Anspruchsgrundlagen zur Durchsetzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mittels eines Anspruchs auf Unterlassung beeinträchtigender Äußerungen sind § 1004 Abs. 1 Satz 2 entsprechend, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeits- recht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen. Hierzu gehört der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person und insbesondere auf ihr Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken (BVerfG Beschluss vom 11.12.2013-1BvR194/13). Es ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern wird nach Art. 2 Abs. 1 GG durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechten

gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art.5 Abs.1 Satz1 GG, die wiederum ebenfalls nicht vorbehaltlos garantiert ist, sondern ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre findet (vgl. BVerfGE 114, 339; BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 - 1 BvR 2678/10). Damit ist ein „Konflikt“ zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der einen Person mit dem Recht auf Meinungsfreiheit einer anderen Person angelegt, für den ein angemessener Ausgleich gefunden werden muss.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird dabei als offener Tatbestand verstanden, beidem nicht jeder Eingriff in dieses Recht zur Annahme der Rechtswidrigkeit führt und darauf basieren deinen Unterlassungsanspruch zur Folge hat. Die Feststellung einer rechtswidrigen Verletzung setzt vielmehr eine ordnungsgemäße Abwägung der widerstreitenden Interessen voraus (vgl. BGHZ 45,296;BVerfGE114,339).In Fällen der vorliegenden Artist dabei eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits vorzunehmen.

2.

 

Weichenstellend für die vorzunehmende Abwägung ist dabei die Erfassung des Inhalts der Aus- sagen, insbesondere die Klärung, in welcher Hinsicht sie ihrem objektiven Sinn nach das Persön- lichkeitsrecht der Verfügungskläger beeinträchtigen. Maßgeblich für die Deutung ist dabei weder die subjektive Absicht der sich äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung betroffenen Person, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfGE 93, 266; 114, 339). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BVerfG, NJW 2017, 1537, NJW 2017, 2029, jeweils m.w.N.; OLG München Urteil vom 05.10.2021 - 18 U1969).

3.

 

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der beanstandeten Äußerungen und deren Unterlassung als Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist zunächst, wieder Sinngehalt der beanstandeten Äußerungen beider gebotenen objektiven Betrachtung zu verstehen ist und in der Folge deren Einordnung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung.

a.

 

Bei Auswertung des Inhalts des fraglichen Mails vom 09.03.2021 kann in Bezug auf den Verfügungsbeklagten Ziffer 1 und die Verfügungsbeklagte Ziffer 2 festgehalten werden, dass deren Namen im Zusammenhang mit in der Vergangenheit im Rahmen der Ulmer Friedenswochen durch- geführtenVeranstaltungengenanntwerden,diefür„fragwürdigerachtet“werden.Dabeistehtdies im Kontext mit den Ausführungen im vorangehenden Absatz, in welchem die Verfasser des Schreibens monieren, dass die Friedenswochen in der Vergangenheit der BDS Bewegung und ihr nahestehenden Organisationen/Personen eine Plattform geboten hätten. Gleichzeitig wird „dieses Umfeld“ als problematisch angesehen, da der BDS den Staat Israel nach Einschätzung der Verfasser unverhältnismäßig kritisiere oder sogar zu delegitimieren versuche und in diesem Zusammenhang auch Antisemitismus fördere oder diesen direkt verbreite. Damit wird für einen unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsleser erkennbar ein Bezug zwischen den namentlich genannten Verfügungsklägern Ziffer 1 und 2 zumindest mit dem von den Verfassern des Mails als „problematisch“ eingestuften Umfeld des BDS hergestellt, wobei durch die Verwendung des Begriffs „fragwürdig“ für den unbefangenen Leser letztlich offen bleibt, ob der Verfügungskläger Ziffer 1 und die Verfügungsklägerin Ziffer 2 überhaupt diesem Umfeld zugerechnet werden sollen oder nicht. Weiter lässt sich dem Schreiben die Intension entnehmen, dass den genannten Personen im Rahmen der Ulmer Friedenswochen künftig keine Plattform mehr geboten werden soll.

Hinsichtlich des Verfügungsklägers Ziffer 3 wird der Vorwurf, der BDS Bewegung und dieser nahestehenden Organisationen/Personen eine Plattform geboten zu haben, noch deutlicher formuliert, indem dieser vorgeworfen wird, sie scheine dafür verantwortlich zu sein, dass „solche“ Veranstaltungen in der Vergangenheit mehrfach organisiert und beworben wurden.

b.

 

Im nächsten Schritt ist zu klären, ob es sich bei den diesem Verständnis zugrundeliegenden Äußerungen um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt.

FührteineTatsachenbehauptungzueinerRechtsverletzung,hängtdierechtlicheBewertungvom Wahrheitsgehalt der Äußerung ab. Wahre Tatsachen müssen in der Regel hingenommen wer- den,auchwennsienachteiligfürdenBetroffenensind,unwahreTatsachenäußerungengenießen den Grundrechtsschutz dagegen nicht(BVerfG,Beschlussvom07.12.2011-1BvR2678/10).

Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich von Werturteilen dadurch, dass bei diesen die sub- jektiveBeziehungzwischenderÄußerungundderWirklichkeitimVordergrundsteht,währendfür Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16.03.1999 - 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199). Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es wesentlich darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (vgl. BGH, NJW 2005, 279; NJW 2015, 773). Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt (vgl. BGH, NJW 2015, 773).

c.

 

Ausgehend davon hat das Landgericht die von den Verfügungsklägern beanstandeten Äußerungen im Mailschreiben vom 09.03.2021 durchgängig zutreffend nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Meinungsäußerungen eingestuft.

(1.)

 

Diese Einstufung ergibt sich hinsichtlich der vom Verfügungskläger Ziffer 1 und der Verfügungsklägerin Ziffer 2 beanstandeten Passagen bereits daraus, dass sie letztlich den Gesamtkontext der Mail mit der Begründung zum Gegenstand ihres Unterlassungsanspruchs machen, dass sie sich hierdurch als Antisemiten bzw. Unterstützer und Verbreiter diverser, weitreichendender anti- semitischen Positionen und damit als „Steigbügelhalter“ des Antisemitismus diffamiert sehen. Konkret wird gerügt vom Verfügungskläger Ziffer 1 und der Verfügungsklägerin Ziffer 2 dabei, dass unter dem Hinweis „als fragwürdig erachteten wir“ ihre Namen unter Verweis auf früher  von ihnen im Rahmen der Ulmer Friedenswoche durchgeführte Veranstaltungen genannt werden. Dabei wird nicht ihre Teilnahme an den Veranstaltungen als Tatsache bestritten, sondern die Verfügungskläger stören sich daran, dass nach ihrer Auffassung behauptet wird, die genannten Veranstaltungen hätten eine antisemitische Ausrichtung gehabt und es werde damit suggeriert, sie würden der BDS Bewegung angehören bzw. diese aktivunterstützen.

Die (Tatsachen-)Behauptung, sie würden dem BDS angehören, wird in dem Schreiben jedoch nicht aufgestellt .Abgesehen davon, dass in dem Mail neben der BDS Bewegung auch von dieser nahestehenden Organisationen/Personen die Rede ist, werden der Verfügungskläger Ziffer 1und die Verfügungsklägerin Ziffer 2 ausdrücklich als „fragwürdig“ im Hinblick auf ihre Stellung zum BDS oder dessen Umfeld dargestellt, was unschwer als Meinungsäußerung zu erkennen ist.

Aus den gewählten Formulierungen ergibt sich weiter, dass es den Verfassern nicht nur um die BDS Bewegung geht, sondern auch um dieser Bewegung „nur“ nahestehende Personen bzw. ein nicht näher definiertes „Umfeld“. Es sollen nach Meinung der Verfasser also nicht nur die Veranstaltungen der BDS Bewegung verhindert werden, sondern auch diesem bloßnahestehende Personen/Organisationen sollten keine Veranstaltungen auf den Friedenswochen durchführen können, was sich aus der Verwendung des Wortes „und“ ergibt. Soweit dieses Umfeld als „problematisch“ angesehen wird, ist dies ebenso ein Werturteil wie die Frage, ob jemand dem BDS „nahesteht“.

 

Dass ein solches Nahestehendes Verfügungsklägers Ziffer 1 und der Verfügungsklägerin Ziffer 2 zur BDS Bewegung suggeriert werden soll, wird man dem Schreiben durchaus entnehmen kön- nen, nachdem durch die Nennung ihrer Namen und der Bezeichnung der von ihnen durchgeführten Veranstaltungen als „fragwürdig“ ein Bezug zu dem vorherigen Abschnitt mit der Kritik an der BDS Bewegung und dem als problematisch angesehenen „Umfeld“ hergestellt wird. Die Bedeutung des Begriffs „nahestehend“ ist aber nicht objektivierbar, vielmehr drückt das Verb das Ergebnis einer subjektiven Bewertung der Beziehung zwischen Personen bzw. Institutionen aus. Das Verb "nahestehen" kann in dem Sinn verstanden werden, dass man zu jemandem in enger Beziehung steht und sich mit ihm sehr verbunden fühlt. Es kann aber auch bedeuten, dass man mit jemandem sympathisiert und man -teilweise- ähnliche Ideen hat oder Ziele verfolgt. Eine eindeutige objektive Bedeutung des Verbs aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers findet sich nicht und es gibt keine objektive Tatsachengrundlage, ab welcher die Bewertung, dass sich zwei Rechtssubjekte "nahestehen", gerechtfertigt erscheint. Eine Überprüfung der Aus- sage, dass sich Personen oder Institutionen "nahestehen" ist deshalb mit den Mitteln des Beweises nicht möglich (so auch OLG Saarbrücken, Urteil vom10.02.2010-5U362/09). Beweis könnte allenfalls über tatsächliche Verbindungen zwischen den Rechtssubjekten erhoben werden und erst auf dieser Basis könnte dann abschließend die wertungsabhängige subjektive Schlussfolgerung über das "Nahestehen" gezogen werden. Aber selbst solche objektiven Umstände sind dem Mail der Verfügungsbeklagten nicht zu entnehmen und auch ansonsten nicht ersichtlich.

(2.)

 

Dasselbe gilt für den Verfügungskläger Ziffer 3, der sich vorgeworfen fühlt, er habe innerhalb der Friedenswochen mehrfach „solche“ Veranstaltungen organisiert und beworben, bei denen der BDS Bewegung eine Plattform geboten worden sei. Diese konkrete Behauptung lässt sich dem Mailschreiben vom 09.03.2021 jedoch nicht entnehmen. In der Tat wird darauf verwiesen, dass der Verfügungskläger für die Organisation und Bewerbung „solcher Veranstaltungen verantwortlich zu sein scheint“. Aber auch dies ist letztlich im Ergebnis wiederum ein Werturteil, denn wird gerade nicht behauptet, der Verfügungskläger habe Veranstaltungen der BDS Bewegung organisiert, sondern unter „solche“ Veranstaltungen fallen ersichtlich auch solche, die (lediglich) dem BDS „nahestehenden“ Personen eine Plattform geboten haben sollen und wer hierunter fällt, ist - wie ausgeführt - als Ergebnis einer Wertung zu qualifizieren.

 

4.

 

Die von den Verfügungsklägern beanstandeten Äußerungen sind daher durchgehend als Mei- nungsäußerungenzuqualifizieren,dieeinenweitenSchutzgenießen,ohnedassesdabeiaufde- ren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeitankäme.

Bevor man sich mit der rechtlichen Zulässigkeit der beanstandeten Meinungsäußerungen näher befasst, hat sich die Prüfung der konkreten Unterlassungsbegehren der Verfügungskläger jedoch an den gestellten Anträgen zu orientieren und dies führt dazu, dass sie weder mit ihren Hauptan- trägen noch mit den nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz noch gestellten Hilfsanträgen erfolgreich sind, weil die begehrten „Verbote“ schon deswegen ins Leere gehen, weil sich Äußerungen mit dem Sinngehalt, welche die Verfügungsbeklagte nach Meinung der Ver- fügungskläge rkünftig zu unterlassen haben sollen, aus dem Mailschreiben der Verfügungsbeklagten vom 09.03.2021 gar nicht entnehmen lassen.

(a.)

 

Hinsichtlich des von allen drei Verfügungsklägern gestellten Hauptantrags (beim Verfügungskläger Antrag I.1.), der Verfügungsbeklagten zu verbieten, dem Kontext nach zubehaupten  oder zu suggerieren, sie unterstützten „den BDS“ oder die (im Mailschreiben) in Bezug genommenen angeblichen Inhalte bzw. Standpunkte „des BDS“, besteht schon deswegen kein An- spruch,weilsicheinederartigeBehauptungindemMailschreibenvom09.03.2021nichtfindet.

Der Verfügungskläger Ziffer 1 und die Verfügungsklägerin Ziffer 2 werden durch den Text in die aufgestellte Forderung - dass der BDS Bewegung bei den Friedenswochen keine Plattform gebo- ten werden soll - allein auf die Weise einbezogen, dass Veranstaltungen, die sie in der Vergangenheit im Rahmen der Ulmer Friedenswochen durchgeführt haben, als „fragwürdig erachtet“ werden. Der Vorwurf, man habe der BDS Bewegung in der Vergangenheit eine Plattform geboten, kann den Verfügungskläger Ziffer 1 und die Verfügungsklägerin Ziffer 2 von vornherein nicht treffen, weil diese mit der Organisation der Ulmer Friedenswochen nichts zu tun haben.

Wie ausgeführt sind die getätigten schriftlichen Äußerungen für das unvoreingenommene und verständige Durchschnittspublikums durchaus so zu verstehen, dass die Verfügungskläger in die Nähe des BDS gerückt werden sollen, um dadurch dessen Positionen und Tätigkeiten auf die Verfügungskläger "abfärben" zu lassen. Allein daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, er werde behauptet, die Verfügungskläger würde den BDS „unterstützen“. Zu der Form, in welcher eine Unterstützung der BDS Bewegung durch diese beide Personen konkret erfolgt sein soll, fehlt jeder Vortrag, wobei von einer „Unterstützung“ allenfalls dann ausgegangen werden könnte, wenn entweder die Organisation als solche unterstützt würde und/oder eine Übereinstimmung zumindest in so vielen Positionen bestehen würde, dass von einer weit gehenden Identifikation mit den Ideen und Zielen der Organisation die Rede sein könnte. Der Umstand, dass die Verfügungskläger in einzelnen Positionen - wie etwa der Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung - mit den der BDS Bewegung übereinstimmen dürften, führt nicht dazu, dass ein unvoreingenommenes und verständigen Durchschnittspublikum von einer „Unterstützung“ der BDS Bewegung ausgehen wird.

Ebenso findet sich in dem beanstandeten Mail -entgegen der Auffassung der Verfügungskläger- auch kein Hinweis und erst recht keine Behauptung, dass auch nur einer der Verfügungskläger die „in dem Schreiben in Bezug genommenen Standpunkte des BDS“ teilt. So werden die - im Übrigen teilweise mit einer Wertung versehenen -Positionen,

„... den Staat Israel unserer Auffassung nach unverhältnismäßig kritisiert oder sogar zu delegitimieren versucht und in diesem Zusammenhang auch Antisemitismus fördert oder diesen direkt verbreitet. Dies ist besonders der Fall, wenn das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wird, wie  es einige führende BDS-Vertreter*innentaten“

ausdrücklich nur dem BDS zugeschrieben. Gegenüber den Verfügungsklägern – die unstreitig nicht zum BDS gehören – also nur nahestehend bzw. bloßes Umfeld sein können, werden zwar Zweifel gesät (“als fragwürdig erachten wir“) und es wird die Auffassung vertreten, dass diese als (fragwürdig?) der BDS Bewegung nahestehende Personen nicht zum Programm der Friedenswochen gehören sollen. Die Behauptung, die Verfügungskläger würden versuchen, den Staat Israel etwa zu delegitimieren, dessen Existenzrecht in Frage stellen oder auch Antisemitismus fördern oder diesen direkt verbreiten, wird aber gegenüber den Verfügungsklägern nicht aufgestellt.

(b.)

 

Dasselbe gilt im Ergebnis erst recht für den in erster Instanz von sämtlichen Verfügungsklägern gestelltenHilfsantrag,wonachderVerfügungsbeklagtenverbotenwerdensoll,durchdieÄußerun- gen im Mail schreiben vom 09.03.2022 den Eindruck zu erwecken, dass die Verfügungskläger

den BDS“ oder Antisemitismus unterstützen“ . Dieser Antrag geht inhaltlich sogar noch über  den Hilfsantrag hinaus, die „Förderung und direkte Verbreitung des Antisemitismus“ wird in dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Mail aber wiederum ausdrücklich allein der BDS Bewegung vorgeworfen. Dies wird durch den Zusatzunterstrichen  „Diesist  besonders  der Fall, wenn das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wird, wie es einige führende BDS-Vertreter*innen taten “. Hinsichtlich des Verfügungsklägers Ziffer 1 und der Verfügungsklägerin Ziffer 2 werden (lediglich) die Veranstaltungen, die sie durchgeführt haben bzw. sie selbst als Person, als „fragwürdig“ im Hinblick auf ihre Stellung zur BDS Bewegung hingestellt. Damit ist erkennbar-wederoffennochverdeckt-abernochkeinAntisemitismusvorwurfverbunden.

 

(c.)

 

Auch der im Hinblick auf den Verfügungskläger Ziffer 3 ergänzte Hilfsantrag, wonach der Verfügungsbeklagten verboten werden soll, den Eindruck zu erwecken, durch den Verfügungskläger Ziffer 3 seien im Rahmen der Ulmer Friedenswochen federführend Veranstaltungen organisiert worden, bei denen der BDS Bewegung eine Plattform geboten worden sei, scheitert daran, dass diese Behauptung nicht aufgestellt wurde. Nach der exakten Formulierung des Mailschreibens vom 09.03.2021 wollen sich die Verfasser dafür einsetzen, dass „die Friedenswochen keine Plattform mehr für die BDS Bewegung (...) und ihr nahestehende Organisationen/Personen bieten“ sollen. Der Bezug zum Verfügungskläger Ziffer 3 wird dadurch hergestellt, dass dieser für die Organisation und Bewerbung „solcher“ Veranstaltungen federführend verantwortlich zu sein scheint. Abgesehen davon, dass insoweit ohnehin lediglich ein Verdacht geäußert wird, kann sich der Vorwurf nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen verständigen Leser der Nachricht ebenso allein auf Veranstaltungen von der BDS Bewegung nahestehenden Organisationen/Personen beziehen. In diesem Fall bietet der Verfügungskläger Ziffer 3 aber gerade nicht der BDS Bewegung eine Plattform. Dieses Verständnis liegt insbesondere deswegen nahe, weil die Verfasser des Schreibens ihre Behauptung vermeintlich durch die Nennung einzelner Veran- staltungen „belegen“, bei denen sich - soweit ersichtlich - jedoch keine einzige auf eine Veranstaltung der BDS Bewegung oder die Teilnahme eines ihrer Vertreter*innen bezieht.

5.

 

Da somit weder hinsichtlich der gestellten Hauptanträge noch im Hinblick auf die nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz noch gestellten Hilfsanträge ein Verfügungsanspruch angenommen werden kann, verbleibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der von den Verfügungsklägern in der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2022 (“höchsthilfsweise und nächst- rangig hilfsweise) gestellten weiteren Hilfsanträge.

DiesebeziehensichinBezugaufdenVerfügungsklägerZiffer1unddieVerfügungsklägerinZiffer 2darauf,dasssieunterbindenwollen,vonderVerfügungsbeklagtenalsdem„BDSnahestehend“ und/oder als „fragwürdig erachtet“ zu werden.

Der Verfügungskläger Ziffer 3 will der Verfügungsbeklagten hilfsweise verbieten lassen, die Behauptung aufzustellen, er habe im Rahmen der Ulmer Friedenswochen Veranstaltungen mit Personen organisiert, die dem „BDS nahestehen“.

a.

 

Da es sich - bei unverändert bleibendem Sachverhalt - bei den ergänzend gestellten weiteren Hilfsanträgen um eine bloße Erweiterung der bisherigen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung handelt, bestehen im Hinblick auf die Vorschriften der §§530ff.ZPOkeineBedenken und die Stellung der Anträge ist auch in der Berufungsinstanz noch zulässig.

b.

 

Ob man angesichts des langen Zuwartens der Verfügungskläger mit dem Stellen der weiteren Hilfsanträge bis zur mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz noch von einer für die An- nahme des Verfügungsgrundes notwendigen Eilbedürftigkeit der Entscheidung auszugehen hat, kann dahinstehen, da es (auch) im Hinblick auf diese weiteren Hilfsanträge jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines für den Erlass der einstweiligen Verfügung notwendigen Verfügungsanspruchs fehlt.

c.

 

Meinungsäußerungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982

–1376/79,BVerfGE61,1;BVerfG,Beschlussvom09.10.1991–1BvR1555/88,BVerfGE85,1). Meinungsäußerungen sind daher grundsätzlich hinzunehmen, können also nicht verboten wer- den, es sei denn, die Äußerung ist als Schmähkritik, Formalbeleidigung oder als Angriff auf die Menschenwürde anzusehen (BVerfG BeckRS 2016, 49376) oder das Recht auf Meinungsfreiheit muss ausnahmsweise hinter dem im Einzelfall als höherrangig eingestuften allgemeinen Persönlichkeitsrecht eines anderen zurücktreten.

d.

 

Anhaltspunkte für das Vorliegen einer nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen- den Schmähkritik, die wegen ihres die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts nur unter engen Voraussetzungen angenommen werden kann, hat das Landgericht zutreffend verneint. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen bzw. gleichsam an den Pranger stellen soll (BGH, NJW2000,3421;NJW2005,279;BVerfG,NJW2003,1109;BVerfG,NJW1992,1439).

Vorliegend geht es aber nicht um die persönliche Herabsetzung oder Diffamierung der Verfügungskläger, sondern um die kritische Würdigung ihres Verhaltens und ihrer Äußerungen in der Vergangenheit, wobei ein Bezug zu einer Auseinandersetzung in der Sache „Siedlungspolitik“ der israelischen Regierung nicht verneint werden kann.

 

 

e.

 

DasGrundrechtderMeinungsfreiheitist-wieausgeführt-allerdingsnichtunbegrenztgewährleis- tet, sondern in den Fällen widerstreiten der Interessen ist grundsätzlich eine Güterabwägung erforderlich. Das Recht zur Meinungsäußerung muss dabei aber nur dann zurücktreten, wenn schutz- würdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen und damit ein Unterlassungsanspruch der in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigten Person begrün- det sein kann, ist dabei aufgrund aller Umstände des Falles zu ermitteln (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 „Lüth“, BVerfGE 7,198).

(1.)

 

Insoweit steht außer Frage, dass die beanstandeten Äußerungen tatsächlich so zu verstehen sind, wie dies von den Verfügungsklägern behauptet wird. Wie bereits ausgeführt lässt sich dem Gesamtkontext des fraglichen Mailschreibens vom 09.03.2021 durchaus die Aussage entnehmen, wonach der Verfügungskläger Ziffer 1 und die Verfügungsklägerin Ziffer 2 als der BDS Be- wegung „nahestehend“ angesehen und die von ihnen durchgeführten Veranstaltungen bzw. sie auch selbst als Personen im Hinblick auf ihre Stellung zum BDS als „fragwürdig“ dargestellt wer- den sollen. Gegenüber dem Verfügungskläger Ziffer 3 wird zumindest der Verdacht geäußert (“verantwortlich zu sein scheint“), dass er Veranstaltungen mit Personen organisiert hat, die dem

„BDS nahestehen“.

 

Deswegen ist zu klären, ob die mit diesen wertenden Äußerungen verbundenen Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfügungskläger als rechtswidrig anzusehen sind. Die in diesem Zusammenhang gebotene Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen ergibt jedoch, dass das Interesse der Verfügungskläger am Schutz ihrer je- weiligen Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) das von der Verfügungsbeklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfrei- heit (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) nicht überwiegt.

(a.)

 

Dabei wird -wie ausgeführt- nicht verkannt, dass die Äußerungen der Verfügungs beklagten ohne Zweifel darauf abzielen, die Verfügungskläger zumindest in die Nähe der BDS Bewegung zu rü- cken, um damit deren Positionen und Tätigkeiten auf die Verfügungskläger "abfärben" zu lassen. Damit kann beim unvoreingenommenen verständigen Leser der Eindruck erweckt werden, dass dieVerfügungsklägerzumindestteilweisedessenEinschätzungenundZieleteilen.Dadurchkann der soziale Geltungsanspruch der Verfügungskläger, der die Darstellung ihrer jeweiligen Person

in der Öffentlichkeit betrifft, durchaus beeinträchtigt werden. (b.)

Dies führt für sich gesehen indes nicht zur Unzulässigkeit der getätigten Äußerungen, es ist je- doch im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen zu berücksichtigen, ob und auf welcher Basis das im Rahmen einer Bewertung vorgenommene „in die Nähe rücken“ zu einer als kritisch angesehenen Organisation erfolgt ist. So müssen wegen der möglichen weitreichenden Folgen für das Ansehen der Verfügungskläger ausreichend ge- wichtige Anhaltspunkte für die aufgestellten Schlussfolgerungen und Bewertungen vorliegen. Ins- besondere fällt im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Inter- essen der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile ins Gewicht. Enthält die Meinungsäußerung etwa einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern oder ist die mit ihr verbundene und ihr zugrunde liegende Tatsachenbehauptung erwiesen unwahr, so tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter die Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück(vgl.BGH,NJW2017,2029).Ebenso kann es ein Indiz dafür darstellen, wenn für in Werturteilen enthaltene tatsächliche Elemente jegliche Bezugspunkte oder objektive Anknüpfungstatsachen fehlen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2017 - 4 U 166/16; OLG Nürnberg,Urteilvom22.10.2019-3U1523/18).Davon ist vorliegend aber nicht auszugehen.

Unrichtig ist zwar der Eindruck, der in dem Mail vom 09.03.2021 durch die Nennung der vom Ver- fügungsklägerZiffer1durchgeführtenVeranstaltungenimJahr2017imHausderBegegnungund im Jahr 2020 im Bürgerhaus Mitte entstehen kann, denn bei diesen Veranstaltungen ging es un- streitig nicht um dem Konflikt zwischen Israel und Palästina, sondern um andere Themen wie die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik sowie andere Konflikte und Kriege im Nahen Osten. Die Benennung des Verfügungsklägers Ziffer 1 im Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen lässt für einen unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsleser aber schon nicht den zwingenden (unrichtigen) Schluss zu, bei den genannten Veranstaltungen seien israelfeindliche, den BDS unterstützende oder gar antisemitische Äußerungen getätigt worden, sondern die Nennung der Namen der Referenten können auch allein der Identifizierung von Personen dienen, die in der Vergangenheit bei den Ulmer Friedenswochen aufgetreten sind und für „fragwürdig erachtet“ und als dem BDS „nahestehend“ oder zu dessen „Umfeld“ zählend benannt werden, um das dem Mail vom 09.03.2021 zu entnehmende Ziel zu erreichen, Veranstaltungen unter Mitwirkung dieser namentlich benannten Personen künftig zuverhindern.

Dies ist in diesem Zusammenhang jedoch ohnehin nicht entscheidend, denn maßgeblich und als tatsächlicher Anknüpfungspunkt für die von der Verfügungsbeklagten gemachten Äußerungen ausreichend ist jedenfalls der Umstand, dass sich sämtliche Verfügungskläger in der Vergangenheit intensiv an der öffentlich geführten Diskussion zu dem Konflikt zwischen Israel und Palästina beteiligt haben. Sie äußerten sich wiederholt öffentlich kritisch zur „Besatzungspolitik“ bzw. Siedlungspolitik der israelischen Regierung. Da sie - zumindest in diesem Punkt - ohne Zweifel mit den Einschätzungen des BDS übereinstimmen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass den von der Verfügungsbeklagten verbreiteten Werturteilen von vornherein jegliche Tatsachengrundlage fehlt, sondern es sind ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden, auf die sich die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Bewertungen und Meinungsäußerungen stützen können.

(2.)

 

Die von der Verfügungsbeklagten getroffenen Wertungen genießen daher den weitgehenden Schutz der Meinungsfreiheit und halten auch im Übrigen einer Abwägung mit den Interessen der Verfügungskläger zumindest insoweit stand, dass nicht ausnahmsweise von einem Vorrang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfügungskläger auszugehen ist.

Von entscheiden der Bedeutung ist dabei ,dass die beanstandeten Äußerungen keine private Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen zum Gegenstand haben, sondern eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse betreffen und die Verfügungskläger von den streitgegenständlichen Äußerungen gleichzeitig in erster Linie(nur)in ihren Sozialsphären tangiert sind.

Die zwischen verschiedenen Gruppen geführte Diskussion zum Konflikt zwischen der israelischen Regierung und den Palästinensern ist eine die Öffentlichkeit und damit die Gesellschaft wesentlich berührende Frage und die von den Verfügungsklägern beanstandeten Äußerungen sind daher als Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu werten, bei welcher nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs eine Vermutung zugunsten der Zulässigkeit der Äußerung spricht (BVerfG BeckRS 2016, 45299; BGH NJW 2017, 482) und auch überspitzte Meinungsäußerungen der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden unterliegen (BVerfG, Beschluss vom 11.11.2021 - 1 BvR 11/20). Zudem muss, wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert (vgl. BVerfGE 12, 113; 24, 278; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats

vom 10. März 2016 - 1 BvR 2844/13).

 

Dies trifft letztlich auf alle drei Verfügungskläger zu, die sich in der Vergangenheit intensiv mit dem hier interessierenden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern und insbesondere der israelischen Siedlungspolitik befasst und dazu in der Öffentlichkeit wiederholt ihre Auffassung ver- tretenhaben,dieinder-sehremotional-geführtenDiskussionnichtvonallenanderengeteilt wird und daher Widerspruch provoziert. Die Verfügungskläger haben sich mit ihren streitbaren politischen Ansichten freiwillig in den öffentlichen Raum begeben und müssen dann hinnehmen, dass ein Kritiker seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern darf, wenn sie die Verfügungskläger - aber auch andere neutral auftretende Personen - für „ungerecht” halten (BGH NJW 2017, 482). Ob die Kritik richtig oder falsch ist, ist mithin unerheblich, entscheidend ist nur, ob sie sich noch innerhalb der zulässigen Grenzen hält.

Und in diesem Zusammenhang kommt neben der Wichtigkeit eines offenen Diskurses der Um- stand hinzu, dass die fraglichen Äußerungen allein die berufliche, künstlerische oder -im Fall des Verfügungsklägers Ziffer3 -satzungs gemäße Tätigkeit betreffen, also ihre Sozialsphären und da- mit einen Bereich, in dem sie sich wegen der Wirkungen ihrer Tätigkeit für andere von vornherein auf dieBeobachtungihresVerhaltensundaufKritikanihrenLeistungeneinstellenmüssen.Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen grundsätzlich nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen ist (vgl.BGH, Urteil vom 23.09.2014, BGHZ 202, 242). Wenn sich die Verfügungskläger aber - wie ausgeführt - mit ihren politischen Ansichten freiwillig in den öffentlichen Raum begeben, beanspruchen sie für sich entsprechend öffentliche Aufmerksamkeit, weshalb eine Prangerwirkung schon deswegen nicht anzunehmen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 1094/19; BVerfG, Beschluss vom 11.11.2021 - 1 BvR11/20).

(3.)

 

Die Gesamtabwägung der berührten Rechtspositionen führt im vorliegenden Fall letztlich dazu, dass zumindest nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Interesse der Verfügungsklä- ger am Schutz ihrer jeweiligen Persönlichkeit das von der Verfügungsbeklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheitüberwiegt.

Da mit ist die mit den Äußerungen der Verfügungsbeklagten verbundene Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfügungskläger im Ergebnis nicht als rechtswidrig einzu- stufen und ein Anspruch auf Unterlassung dieser Äußerungen zu verneinen, so dass es den Verfügungsklägern am notwendigen Verfügungsanspruch mangelt.

6.

 

Soweit der Verfügungskläger Ziffer 1 mit seinen Anträgen I. 2. und 3. darüber hinaus die Verfügungsbeklagte auf Unterlassung der in dem als Fußnote Ziffer 2 mit dem Mailschreiben vom 09.03.2021verlinktenBlogbeitrag enthaltenen Äußerungen in Anspruch nimmt, scheitert dies dar- an, dass sich der Blogbeitrag gar nicht auf den Verfügungskläger Ziffer 1, sondern sich der Link aufgrund seiner Positionierung viel mehr auf die „scheinbar“ von dem Verfügungskläger Ziffer 3 zu verantwortenden Veranstaltungen bezieht, sich die Verfügungsbeklagte die dort gemachten Aus- sagen durch die bloße Verlinkung jedenfalls aber nicht zu eigen gemacht hat.

a.

 

Bei der Prüfung von Linksetzungen ist für einen Unterlassungsanspruch erforderlich, dass sich der Anbieter des Links nach den konkreten Umständen des Einzelfalls – insbesondere nach dem Kontext und der technischen Gestaltung – den hinter dem Link stehenden Inhalt zu Eigen gemacht hat. Insoweit genügt die Linksetzung als solche nicht, denn der Inhalt der durch einen Link in Bezug genommenen Internetseite wird nicht schon qua Verlinkung zum Teil der geäußerten eigenen Meinung (BVerfG NJW 2012, 1205). Wird ein entsprechender Link gesetzt, kommt zwar gegebenenfalls eine Haftung in Betracht, wenn hierbei zumutbare Prüfpflichten verletzt worden sind. Wird im Kontext eines Artikels oder Schreibens ein Link jedoch auf eine allgemein zugängliche fremde Internetseite gesetzt, dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit an die Prüfpflichten keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Die Prüfung ist insoweit auf sich aufdrängende Pflichtverletzungen beschränkt (BGH NJW 2014,2158).

b.

 

Die Fußnote 2 als Beleg zur scheinbaren Verantwortlichkeit des Verfügungsklägers Ziffer 3 für entsprechende Veranstaltungen(alsonichtdenVerfügungsklägerZiffer1betreffend)verweist auf den fremden Link

https://kollektiv26.blackblogs.org/2020/09/19/hans-juergen-halts-maul/

der zu einem Beitrag des Kollektivs 26 vom 19. September 2020 führt, in dem die vom Kläger gehaltenen Vorträge bei den Friedenswochen 2018 und 2019 thematisch bezeichnet und dann eine Kritik des Linken Bündnis gegen Antisemitismus München zitiert wird. Danach wird vom Kollektiv 26 in der Überschrift und dem ersten Satz der Vorwurf des Antisemitismus zwar auch ausdrücklich gegen den Verfügungskläger Ziffer 1 erhoben, die bloße Linksetzung bewirkt nach den oben dargestellten Grundsätzen aber gerade noch kein zu eigen machen seitens der Verfügungsbeklagten, weil damit noch nicht die inhaltliche Aussage verbunden werden kann, dass die Verfügungsbeklagte diesen Vorwurf auch selbst und persönlich gegen den Verfügungskläger Ziffer 1 erheben wollte, zumal die Fußnote sich nur auf die federführende Verantwortlichkeit des Verfügungsklägers Ziffer 3 bezieht, jedoch gerade nicht auf den Verfügungskläger Ziffer 1, der im Text der Mail erst später – zudem mit anderen Veranstaltungen aus anderen Jahren – als „fragwürdig“ eingestuft wurde. Es kommt hinzu, dass der Blogbeitrag lediglich wiederum ein fremdes Zitat des Linken Bündnis gegen Antisemitismus München wiedergibt, weshalb quasi ein doppeltes zu Ei- gen machen erforderlich wäre, zum einen des fremden Blogbeitrags und dann auch noch des dortigen fremden Zitats.

Die Tatsache, dass das Kollektiv 26 ebenfalls die Mail unterzeichnet hat, also dafür mit verantwortlichzeichnet(obwohl nicht in Anspruch genommen),führt entgegen der Auffassung der Berufung ebenfalls noch nicht dazu, dass die Verfügungsbeklagte sich diese Aussagen zurechnen lassen muss, da insoweit die Mitunterzeichnung einer anderen Mail nicht bewirkt, dass die Verfügungsbeklagte sich die Aussagen des Kollektivs 26 auf deren Internetauftritt zurechnen lassen muss, da diese unter einer anderen Verantwortlichkeit–Kollektiv26–veröffentlicht wurden–dies zudem zu einem anderen Zeitpunkt über ein halbes Jahrfrüher.

Soweit der Verfügungskläger Ziffer 1 schließlich meint, aus der Aussage „Hans Jürgen halt´s Maul“ ergebe sich eine Schmähung auch seiner Person, ist dies nicht nachvollziehbar, denn die- se Aussage bezieht sich ersichtlich auf den ebenfalls in dem Blogbeitrag genannten Hans Jürgen Abromeit und nicht auf den Verfügungskläger Ziffer 1.

III.

 

Da die von den Verfügungsklägern geltend gemachten Unterlassungsansprüche - auch unter Berücksichtigung der im Verlauf des Berufungsverfahrens gestellten weiteren Hilfsanträge - nicht bestehen, hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Recht zu- rückgewiesen und die hiergegen gerichtete Berufung bleibt erfolglos.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Ein Ausspruch zur Vollstreckbarkeit ist nicht veranlasst, da das Urteil des Landgerichts Ulm vom 27.05.2021nach§542Abs.2Satz1ZPOmitVerkündungdesBerufungsurteilsrechtskräftigund damit beide Urteile endgültig vollstreckbar sind. Aus demselben Grund kommt auch eine Zulassung der Revision nicht in Betracht.

 

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