
Geldentschädigung: BILD veröffentlicht Brief eines trauernden Jungen
von Media Kanzlei
Unser Mandant ist ein minderjähriger Junge, der vor wenigen Jahren seine Mutter und seinen Vater verloren hat. Vor dem Landgericht Frankfurt konnten wir für den Mandanten eine Geldentschädigung in Höhe von 20.000 Euro erreichen.
Die Mutter und der Vater unseres Mandanten kamen im Rahmen eines Familiendramas ums Leben. In seiner Trauer schrieb der kleine Junge einen Abschiedsbrief an seine Mutter. Von diesem Abschiedsbrief hatte der Axel Springer Verlag in der Online-Ausgabe seiner Boulevard-Zeitung Bild ein Foto veröffentlicht. Zusätzlich veröffentlichte die Bild den Vornamen des Jungen und ersten Buchstaben des Nachnamens seiner Mutter, den Tatort sowie weitere persönliche Details der Familie des Kindes.
Privatsphäre des Kindes verletzt
Durch den Artikel der Bild wurde unser Mandant schwerwiegend in seiner Privatsphäre verletzt, die Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Das Landgericht führt in seinem Urteil (nrkr.) hierzu aus:
„Das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung der Privatsphäre gesteht jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehört das Recht, für sich zu sein, sich selbst zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen. Der Schutz der Privatsphäre ist sowohl thematisch als auch räumlich bestimmt. Er umfasst insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als „privat" eingestuft werden, etwa, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst (vgl. zB BGH, Urteil vom 10.11.2020 - VI ZR 62/17, AfP 2021,32 Rn. ISmwN). Nach diesen Maßstäben haben die Verbreitung und Schaustellung des Abschiedsbriefs des Klägers an seine Mutter in der Internetausgabe der Zeitung der Beklagten sein Recht auf Achtung seiner „inneren" Privatsphäre betroffen (zur „äußeren" Privatsphäre, vgl. zB BGH, Urteil vom 07.07.2020 - VI ZR 250/19, VersR2021, 189 Rn. 35). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nicht nur seine Sozialsphäre tangiert.“
„Zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit gehört es, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Im Rahmen der Abwägung ist dabei von maßgeblicher Bedeutung, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, und damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie lediglich die Neugier der Leser befriedigen. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (vgl. zB BGH, AfP 2021, 32 Rn. 23 mwN). Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und welcher Informationswert ihr daher beizumessen ist, ist von erheblicher Bedeutung, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson kann einen besonderen Schutz ihres Privatlebens beanspruchen, nicht aber eine Person des öffentlichen Lebens. Außerdem ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Berichterstattung über Tatsachen, die einen Beitrag zu einer Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft leisten kann, und der Berichterstattung über Einzelheiten des Privatlebens einer Person, die keine solchen Aufgaben hat (vgl. zB BGH, AfP 2021, 32 Rn. 24 mwN).“
Für den Fall unseres Mandanten erkennen die RichterInnen des LG kein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Sie sehen die Gedanken und Gefühle des Kindes als besonders schützenswert an. Der Schutz werde noch dadurch verstärkt, dass der Brief die persönliche Mutter-Kind-Beziehung betrifft, die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist. Hinzu komme, dass der Artikel, anders als die Axel Springer SE meine, nicht rein wohlwollend sei. Der Autor des Beitrags habe den Brief mit wertenden Formulierungen kommentiert.
Kinder vor Medien und Presse schützen
Vor allem Kinder müssen vor den Medien und der Presse geschützt werden. Wenn Kinder schon in jungem Alter in den Fokus der Medien geraten, kann dies schwere Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentfaltung dieser jungen Menschen haben. Diese Auffassung teilen auch die RichterInnen des LG in ihrem Urteil: „Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bedürfen Kinder eines besonderen Schutzes vor den Gefahren, die von dem Interesse der Medien und ihrer Nutzer an einer Berichterstattung über sie oder an Abbildungen von ihnen ausgehen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann durch die Berichterstattung in Medien empfindlicher gestört werden als diejenige von Erwachsenen, so dass der Bereich, in dem sie sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, umfassender geschützt sein muss. Dieser auf die Entwicklungsphasen des Kindes abgestimmte Schutz folgt unter anderem aus seinem Recht auf ungehinderte Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 - 1 BvR 1964/00, NJW 2003, 3262, 3263 Duris Rn. 6]; BGH, GRUR 2005, 179, 181 [juris Rn. 20], jeweils mwN). Gemessen daran kann die Persönlichkeitsentwicklung des Klägers hier schon dadurch beeinträchtigt worden sein, dass die Beklagte sein innerstes Gefühlsleben in einer emotionalen Ausnahmesituation einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Dies kann sich nachhaltig negativ auf seine ungestörte kindliche Persönlichkeitsentwicklung auswirken (vgl. zB BGH, GRUR 2005, 179, 181 üuris Rn. 21]; GRUR 2018, 964 Rn. 26 - Tochter von Prinzessin Madeleine).“
Geldentschädigung für Betroffenen
Wir haben im Vorfeld bereits eine einstweilige Unterlassungserklärung gegen die Axel Springer SE erwirkt. Daraufhin haben wir sie zur Zahlung einer sowie zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten aufgefordert. In dem Urteil des LG Frankfurt wird die Axel Springer SE verurteilt, an unseren Mandanten eine Geldentschädigung in Höhe von 20.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Zudem muss sie die vorgerichtlichen Rechtsanswaltskosten erstatten.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung begründet eine schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigt aufgefangen werden kann. Die Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen soll dem Verletzen unter anderem Genugtuung für den erlittenen Eingriff geben. Daneben findet sie ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken, dass das Persönlichkeitsrecht gegenüber erheblichen Beeinträchtigungen anderenfalls ohne ausreichenden Schutz bliebe. Außerdem dient sie der Prävention. Eine Geldentschädigung darf allerdings keine Höhe erreichen, die die Pressefreiheit unverhältnismäßig einschränkt. In diesem Fall sehen die RichterInnen des LG eine besondere Schwere der Persönlichkeitsverletzung, weil der Schutzbereich der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) betroffen ist.
Rechtsanwalt Tobias Hermann aus der Media Kanzlei sieht in dem Urteil einen großen Erfolg: „Die Urteilsbegründung spricht für sich - ein toller Erfolg und in dieser Höhe die absolute Ausnahme in Deutschland. Axel Springer hat bereits angekündigt in die Berufung zu gehen, wo wir uns allerdings gute Chancen ausrechnen, dass dieses Urteil vom Oberlandesgericht bestätigt wird.“
(Hinweis: Das Urteil ist nicht rechtskräftig)
Wenden auch Sie sich gerne an das Team der Media Kanzlei. Wir beraten Sie in medien- und presserechtlichen Anliegen.
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